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Mark Hodder

Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack


 
»Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack« von Mark Hodder


Besprochen von:
 
Detlef V.
Deine Wertung:
(5)

 
 
London im Jahr 1861. In der Stadt passieren merkwürdige Dinge. Eine Gestalt namens Spring Heeled Jack macht die Straßen unsicher und belästigt junge Mädchen, des weiteren entführen Wesen, halb Mensch halb Wolf, jugendliche Kaminkehrer. Ein Zustand, den die Krone nicht mehr gewillt ist länger hinzunehmen. Lord Palmerston beauftragt im Namen der Regierung den berühmten Forscher Sir Richard Francis Burton, um den mysteriösen Begebenheiten auf die Spur zu kommen. Ihm zur Seite steht sein guter Freund und Dichter Algernon Charles Swinburne. Zusammen machen sich die beiden auf um Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei erkennen sie, dass beide Fälle nicht nur unmittelbar zusammenhängen, sondern auch, dass ihre Welt in der sie leben, gar nicht existieren dürfte.

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Mit Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack (Original The strange Affair of Spring Heeled Jack) legt Mark Hodder sein erstes Buch aus der Burton und Swinburne Reihe vor. Ein Buch, für das er im Jahr 2010 mit dem Philip K. Dick Award ausgezeichnet wurde – und das für mein Dafürhalten auch völlig zurecht. Das Buch ist ein absolut lesenswertes und völlig durchgeknalltes Werk, das gleich mehrere Untergenres des phantastischen Bereichs miteinander verbindet. Ob Horror, Steampunk oder Science Fiction, ob Werwölfe, Zeitreisen, Cyborgs oder Orang Utans mit Menschengehirnen, es ist alles zu finden – irgendwie und irgendwo.

Absolut gekonnt verbindet Hodder eine Detektivgeschichte, die Suche nach Spring Heeled Jack, mit einer, schon tief in den Horror Bereich gehenden Story um Mischwesen, halb Mensch halb Wolf (Hund), die kleine Jungen, die sich als Kaminkehrer ihr Brot verdienen, entführen. Auch wenn die Protagonisten reale Menschen unserer Vergangenheit sind, spielt die Handlung in einem London, das technologisch und wissenschaftlich gesehen weiter fortgeschritten ist als das uns bekannte. Kleine Motorräder oder Flugmaschinen, die jeweils mit Kohle angetrieben werden, sind nur ein kleiner Teil des technischen Fortschritts. Gehirne können bereits verpflanzt und in andere Körper übertragen werden, notfalls auch in tierische Körper. Der Grund für diesen technologischen Fortschritt liegt in der Figur des Spring Heeled Jack begründet, denn dieser entpuppt sich als Zeitreisender mit einer selbstgestellten Mission. Aber, wie es Zeitreisen so an sich haben, liegt der Teufel im Detail und nachdem unser guter alter Zeitreise-Jack die Sache mal so richtig verbockt hat, hat er damit nicht nur seine eigene Zeitlinie ausgelöscht, sondern unsere gleich mitverändert und neu geschaffen. Bei dem Versuch seinen Fehler zu beheben und seiner Angewohnheit einen Teil seines Wissen aus der Zukunft seinem Gastgeber preiszugeben, verstrickt er sich in immer mehr Ungereimtheiten und macht alles dadurch nur noch schlimmer. Sein Pech, dass er sich zudem mit Richard Francis Burton anlegt und dabei an den Falschen gerät. Da beide, Jack und Burton, die Hauptfiguren der Geschichte sind, widmet Mark Hodder auch jedem ausführlich einen Teil des Buches. Im ersten Abschnitt erzählt er die Geschichte Burtons, im zweiten deckt er die tatsächliche Geschichte des Spring Heeled Jack auf und erklärt, wie es überhaupt zu der Verschiebung der Zeitlinien kam. Spätestens hier wird dem Leser klar, wie alles zusammenhängt. Das ist klasse geschrieben, mit viel Phantasie und sehr fesselnd.

Die Pro- und Antagonisten seiner durchgeknallten Story lesen sich wie das Who is who der britischen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Alles, was damals Rang und Namen hatte ist zu finden, und das oftmals in einer Rolle, wie sie absurder nicht sein kann. Charles Darwin hat ebenso seinen Auftritt wie Isambard Kingdom Brunel, Florence Nightingale, Oscar Wilde oder Laurence Oliphant. Letzteren kennen manche Leser sicherlich noch aus William Gibsons und Bruce Sterlings Buch Die Differenzmaschine (The Differnce Engine), in dem er als Agent der Britischen Krone agiert. Die gleiche Rolle, die nun sein Gegenspieler Sir Richard Burton inne hat.

Wem das dem Buch zugrunde liegende Szenario bekannt vorkommt, täuscht sich nicht. George Mann hat mit seiner Newbury und Hobbes Trilogie in eine ähnliche Bresche geschlagen - Steampunk im viktorianischen Zeitalter und ein Ermittler-Duo das phantastische Fälle lösen muss. Alles schon mal da gewesen. Und wenn man am Ende die Danksagung von Mark Hodder durchliest und er sich ausdrücklich bei George Mann bedankt, dann weiß man auch woher der Autor seine Anregungen bekommen hat. Allerdings, und das möchte ich hier unbedingt anmerken, liest sich die Geschichte von Hodder erheblich besser, spannender und phantastischer als die von George Mann. Wer also die Newbury / Hobbes Reihe mochte, wird die Burton / Swinburne Reihe vermutlich lieben und kann bedenkenlos zugreifen. Auch der Humor von Hodder ist wesentlich erfrischender als der von Mann. Die eigentlichen Knaller des Buches sind daher für mich ohne Zweifel die Kanarienvögel. Diese werden als Boten, ähnlich den Brieftauben, eingesetzt. Es gibt nur einen kleinen, aber lustigen, Unterschied. Die Nachrichten werden nicht in Form von kleinen Briefchen, wie bei den Brieftauben, an den Empfänger übermittelt, sondern als gesprochene Botschaft. Aus irgendeinen Grund jedoch, fluchen die Vögel pausenlos während sie die Botschaft überbringen. Völlig normal also, wenn sich der Vogel, nachdem er Burton die Nachricht übermittelt hat, mit einem herzlichen „Alter Wichser“ von ihm verabschiedet. Auch Burtons Freund Swinburne sorgt für den ein oder anderen Lacher. Swinburne ist Masochist und immer dann wenn er Prügel bezieht, quittiert er diese mit einem sinnlichen Ahh und Ohh. Was eigentlich als Bestrafung gedacht ist, ist für ihn einfach nur ein lustvoller Vorgang.

Aber, wie immer, gibt es auch hier eine kleine Sache, die Hodder wohl nicht richtig durchdacht hat. Die komplette Veränderung der Zeitlinie hätte sich nämlich leicht vermeiden lassen können. Wäre Jack nicht von dem Gedanken besessen gewesen SELBST in die Geschehnisse um Queen Viktoria einzugreifen und das Paradoxon zu bereinigen, hätten alle darauffolgenden Ereignisse vermieden werden können. Das Jack nicht daran gedacht hat, obwohl er sonst alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen hat, ist eher unwahrscheinlich, aber wohl dem Fortgang der Geschichte geschuldet. Er hätte einfach nur im Vorfeld von Viktorias Kutschenfahrt einem der Polizisten (William Trounce zum Beispiel) sagen müssen, dass einer der Zaungäste zwei Pistolen bei sich hat. Als verantwortungsvoller Gesetzeshüter hätte Trounce vermutlich diesen Zaungast vorsorglich aus dem Verkehr gezogen und somit das Unheil und seine Folgen verhindert und damit auch die ursprüngliche Absicht von Jack unterstützt. Selbst wenn dieses Unterfangen fehlgeschlagen wäre (warum auch immer) hätte Jack es zumindest in Erwägung ziehen sollen.

Fazit:
Eine absolut klasse Geschichte, spannend, gruselig, lustig, verzwickt und völlig absurd. Der Erzählstil von Hodder ist flüssig und wirklich gut zu lesen, die Atmosphäre des 19. Jahrhunderts wird adäquat herübergebracht. Auch die Verknüpfung realer Ereignisse und Personen mit zukünftigen Geschehnissen ist gekonnt geschildert und fügt sich wunderbar in das Gesamtbild des Romans ein. Wenn Mark Hodder das Niveau für die Zukunft halten und weiterhin solch phantastische Geschichten schreiben kann, dann stehen dem Leser mit den Folgewerken Der wundersame Fall des Uhrwerkmanns und Auf der Suche nach dem Auge von Naga noch zwei tolle Geschichten ins Haus. Auf jeden Fall lesenswert.
 


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