Stephen Baxter
Die tausend Erden
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»Die tausend Erden« von Stephen Baxter
In seinem neuesten Werk hat Stephen Baxter mal wieder das geliefert, für das ich ihn liebe. Einen Ausblick in eine weit, weit entfernte Zukunft, einen visionären Blick auf das Ende des Universums. Wo andere Autoren sich mit Geschichten, die oftmals nur wenige hunderte oder tausende von Jahren in der Zukunft spielen beschäftigen, reisen Baxters Protagonisten mal ebenso Millionen oder gar Milliarden von Jahren in Richtung Big Rip oder, wie es auch heißt, Big Crunch. Auch wenn im Klappentext des Buches „nur“ von 5 Millionen Jahren die Rede ist, reist John Hacknett, von kurzen Unterbrechungen einmal abgesehen, gleich 1 Billionen (das sind 1000 Millionen) Jahre in die Zukunft. Das muss man erst einmal verdauen. Sowohl als Reisender wie auch als Leser.
Die Geschichte des Buches spielt auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen. Auf einer davon lernen wir die Jugendliche Mela und ihre Familie kennen. Da wir keine Bezugspunkte haben, wissen wir nicht auf welchem Planeten die Geschichte spielt. Er wird zwar Erde genannt, unterscheidet sich aber so grundsätzlich von der unsrigen, dass sie nicht identisch sein können. Auch die Zeitangabe „Jahr 30“ lässt sich nicht einordnen. Melas Welt ist im Verfall begriffen, die Randbezirke der bekannten Welt lösen sich buchstäblich auf und stürzen ins Nichts, hier Substrat genannt. Irgendwann wird nur noch der Mittelpunkt der Welt existieren, bevor sich auch dieser im Substrat auflöst – wie ein Löffel Kakao, den man in ein Glas Milch gibt. Zuerst löst sich der Rand auf und irgendwann ist auch der letzte Rest in der Milch verschwunden.
Der zweite Handlungsstrang beginnt im Jahr 2154 mit dem Aufbruch der Perseus und ihrer Besatzung – von der nur John Hacknett überleben wird. In einem Kryo-Tank liegend soll er in Richtung Andromeda reisen, nach außerirdischem Leben forschen und dann wieder zurückkommen. Dauer des Fluges: 5 Millionen Jahre. Da die Welt in die er zurückkehrt nicht mehr die ist die er verlassen hat (logisch), reist er immer weiter in die Zukunft. Mal ein paar Millionen Jahre, mal ein paar Milliarden Jahre. Auf seinen Zwischenstopps, die ihn immer wieder zur Erde zurückbringen, lernt er neue „Erdlinge“ kennen, von denen einige ihn auf seine weitere Reise Richtung Zukunft begleiten.
Das klingt nicht nur phantastisch und unglaublich, es ist es auch (zumindest für mich). Aber, die Geschichte hat für mich durchaus einige Punkte, an denen es wirklich etwas „ruckelt“. Wieso schickt man jemanden für 5 Millionen Jahre in die Zukunft? Einmal könnten seine Ergebnisse, wenn er wieder auf die Erde zurückkommt, bereits überholt sein (die Rückkehr dauert ja immerhin 2,5 Millionen Jahre in den einiges in Andromeda passieren kann). Und, kann man nicht davon ausgehen, dass innerhalb der 2,5 Millionen Jahre, die Hacknett für den Hinflug braucht, ein Triebwerk entwickelt werden könnte, das die Strecke nach Andromeda in vielleicht einem Jahr zurücklegt? Das Hacknett im Extremfall noch 1 Millionen Jahre Reisezeit vor sich hat, während die Menschheit mit Hilfe des neuen Antriebs bereits erste Planeten in Andromeda kolonisiert hat. So ganz will mir das daher nicht einleuchten.
Weitere Schwachpunkte sind die Art wie geradezu „nebenbei“ und emotionslos Hacknett sich in der jeweils neuen Zeit zurechtfindet. Da gibt es keine Art Kulturschock oder Bedauern das alles, was man kannte, nicht mehr existiert. Kühl und analytisch wird es von ihm zur Kenntnis genommen. Auch das sich das Äußere der Menschen, bis auf Kleinigkeiten, in fast einer Billionen Jahre nicht grundlegend verändert hat, leuchtet mir nicht ein. Wenn ich als Gegensatz dazu das Buch von Olaf Stapledon Die ersten und die letzten Menschen nehme, liegen hier Welten dazwischen und Stapledons Buch erscheint mir in der Hinsicht wesentlich nachvollziehbarer.
Gelungen hingegen fand ich die Schilderung von Melas Welt. Oftmals habe ich mich gefragt, wie beide Geschichten denn zusammenhängen könnten. Berührungspunkte gab es anfangs keine. Erst nach Hacknetts letztem Halt wurden die Zusammenhänge dann sichtbar. Für mich gab es dann am Ende des Buches eine schöne und nachvollziehbare Verschmelzung beider Handlungsstränge. Was aus unserer Erde geworden ist, wie sie verändert, auseinandergenommen und umgestaltet wurde fand ich schon phantastisch.
Ebenso phantastisch las sich der Augenblick, als Hacknett und die Menschen der Zukunft erkennen mussten, dass es außerirdisches Leben in der Form, wie man es gesucht hat, nicht gab, aber dafür in einer anderen, nie vermuteten. Die einzige intelligente Lebensform im Universum, neben der Menschheit, sind die Sonnen, die sich auf ihre Art gegen den Versuch der Menschheit sie zu verändern kollektiv gewehrt haben. Ich kann mich nicht daran erinnern, so etwa schon einmal in einem anderen Buch gelesen zu haben.
Etwas schwach fand ich die Ausarbeitung von John Hacknett, der, zwar durchaus sympathisch, mir aber doch seltsam fremd und eindimensional geblieben ist. Im Gegensatz zu Mela, die für mich die wahre Protagonistin und Sympathieträgerin des Buches war. Auch wenn Baxter stellenweise hard SF geliefert hat, schwebte dennoch oftmals ein Hauch von „sense of wonder “ durch die Geschichte.
Fazit
Eine visionäre Geschichte mit einer unglaublichen Reise in die Zukunft und einem phantastischen Einfall, dass auch die schwächste und kleinste Sonne ein intelligentes Lebewesen ist, welches sich auch durchaus zu wehren weiß, sollte es angegriffen werden. Für solche Geschichten lieb ich Baxters Bücher.