Andreas Eschbach
Aquamarin
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»Aquamarin« von Andreas Eschbach
Saha Leeds ist ein junges Mädchen und eine Außenseiterin. Von ihren Mitschülern wird sie als Fischgesicht beschimpft, ihr Oberkörper ist von langen schlitzartigen Narben, die nach einem Unfall zurückgeblieben sind, entstellt. Aufgrund der nicht heilen wollenden Narben und angesichts der Tatsache das sie Nichtschwimmerin ist, soll Saha sich vom Wasser fernhalten. Da ihre Mutter verstorben und ihr Vater unbekannt ist, lebt sie bei ihrer Tante Mildred in dem Ort Seahaven in Australien.
Nachdem ihre Mitschüler ihr einen fiesen Streich gespielt haben, stellt Saha fest, dass sie doch ganz gut mit Wasser zurechtkommt und sogar in der Lage ist, unter Wasser zu atmen. Sie stellt Nachforschungen an und findet durch Briefe ihrer Mutter heraus, dass ihr Vater, den sie nie kennen gelernt hat, offensichtlich das Produkt einer Genmanipulation gewesen ist und für ein Leben unter Wasser erschaffen wurde. Als ihr Geheimnis offenbar wird, muss sie befürchten aus Seahaven ausgewiesen zu werden, denn in dem konservativen Ort ist das herumspielen an menschlichen Genen strikt verboten und zieht in jedem Fall eine Verbannung nach sich.
Aber das ist noch nicht alles, denn einer der Begründer Seahavens hat noch ganz andere, viel persönlichere Interessen, um Menschen wie Saha von der Insel zu verbannen – denn Saha ist nicht die einzige ihrer „Art“.
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Mit seinem neuesten Werk hat sich Andreas Eschbach wieder einer jugendlichen Zielgruppe zugewandt. Aquamarin spielt im Jahr 2151 und zeigt eine Zukunft, die nicht allzu futuristisch daherkommt. Da Eschbach sich bei der Schilderung der technischen Errungenschaften sehr zurücknimmt, könnte die eigentliche Geschichte daher auch in der heutigen Zeit spielen. Vielleicht mag das daran liegen, dass die Heimat seiner Heldin Saha zwar nicht technikfeindlich, aber doch ein recht konservativer Ort ist, möglicherweise aber auch daran, dass Eschbach seine Zielgruppe, das dürften hauptsächlich junge weibliche Leserinnen sein, nicht überfordern möchte.
In dem Zusammenhang dürfte es vielleicht auch mal interessant sein zu erfahren, warum ein mittlerweile rund 56 jähriger männlicher Autor eine Geschichte aus der Sicht eines pubertierenden 16 jährigen Mädchens schreibt. Wäre Saha ein Junge, könnte ich das ja noch nachvollziehen, aber ein Mädchen? Möglicherweise ist Eschbach aber auch gerade dabei seine weibliche Seite zu entdecken. Die Ich-Form jedenfalls ist passend für die Geschichte gewählt und bringt dem Leser die Gedanken und Gefühle Sahas auf eine persönlichere Art näher. Daher kann man Eschbach auch bestätigen, dass er seinen Job recht gut gemacht hat und die geschilderten Ereignisse aus Sahas Perspektive gelungen herüberbringt.
Die Begeisterung Sahas bei ihren ersten Tauchausflügen, ihr Entzücken bei der Entdeckung ihrer Gabe, ist mitreißend und ansteckend beschrieben. Man möchte quasi selber ins Meer springen und eine Runde mit ihr schwimmen. Ihre Zerrissenheit zwischen -Abstand von der gemeine Welt nehmen- und der Entdeckung was eine tolle Frisur und ein hübsches Kleid doch in der Interaktion mit ihren Schulkameraden bewirken kann, wirkt authentisch. Alles wunderbar passend für die Zielgruppe des Buch aufbereitet – und das soll kein Vorwurf sein.
Da mag es auch nicht so sonderlich stark ins Gewicht fallen, dass dem Buch, bis kurz vor Ende, auch fast jeglicher Spannungsbogen abhanden gekommen ist. Aquamarin wirkt auf mich etwas ziellos, man weiß nicht genau, worauf Eschbach eigentlich hinaus will. Ist es „lediglich“ ein Buch über eine Sechzehnjährige die ihren Platz in der Welt sucht? Oder ein Buch über ein Mädchen mit einer seltsamen Gabe? Oder ganz einfach nur „3 Wochen im Leben der Saha L.“? Alles ist möglich.
Die weiteren Charaktere neben Saha schwanken zwischen interessant und klischeehaft. Pigrit ist Sahas bester, weil einziger, Freund. Er ist intelligent, loyal und sehr unternehmungslustig. Er steht Saha mit Rat und Tat zur Seite und ist unglücklich verliebt. Natürlich nicht in Saha, sondern in ihre ärgste und fieseste Feindin, in Carilja Thawte. Diese ist zudem noch die Tochter des Mitbegründers von Seahaven, welcher sich als eine nicht zu verachtende Gefahrenquelle für Saha entpuppt. Der ab und an geschilderte Zickenkrieg zwischen den beiden Mädchen hält sich aber glücklicherweise in Grenzen. Bleibt noch Sahas Mutterersatz, Tante Mildred. Sie ist taubstumm und kann sich nur durch Zeichensprache verständigen. Das ist für Mildred natürlich ein Handicap, entpuppt sich für Saha aber als Glücksfall, denn aus diesem Grund hat sie schon früh die Zeichensprache erlernen müssen und kann sich so problemlos mit dem mysteriösen Schwimmt-schnell, eine Art Amphibienmensch, unter Wasser verständigen. Ist das nicht ein glücklicher Zufall?
Obwohl die Geschichte für mich eher dahinplätschert, schafft es Eschbach erstaunlicherweise doch immer, mir „ein gutes Gefühl“ zu vermitteln und mich zum Weiterlesen zu animieren – denn die Geschichte ist auf ihre ganz eigene Art sehr unterhaltsam und kurzweilig geschrieben. Sie hat das Potential, den Leser in ihren Bann zu ziehen. Aber, der Leser muss das auch wollen. Spätestens durch Sahas Begegnung mit Schwimmt-schnell, gewinnt die Geschichte dann endlich auch an Würze, wird tiefgründiger und phantastischer. Eine neue Welt, in den Tiefen des Ozeans angesiedelt, offenbart sich dem Leser. Na gut, sie wird zumindest angedeutet. Hier hätte Eschbach vielleicht etwas mehr liefern können. Da ich aber davon ausgehe das es einen Folgeband geben wird, hat er sich diese Option vermutlich bewusst offengehalten. Immerhin hat die neuernannte Mittlerin zwischen den Welten immer noch nicht ihren Vater gefunden.
Ist Aquamarin zu empfehlen? Ich finde ja. Es ist trotz einigem Leerlauf sehr unterhaltsam und kurzweilig. Saha ist sympathisch und die Geschichte nimmt gegen Ende hin richtig an Fahrt auf. Auch wenn ich nicht mehr zur jugendlichen Zielgruppe gehöre (seufz) hat mir das Buch gut gefallen. Andreas Eschbach macht das, was er am Besten kann – tolle Geschichten erzählen. Und das vorliegende Buch ist eine davon.