Oliver Henkel
Die Fahrt des LEVIATHAN
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»Die Fahrt des LEVIATHAN« von Oliver Henkel
1862 – In Amerika tobt der Sezessionskrieg, mittendrin eine kleine preussische Enklave, Karolina, dass ehemalige South Carolina. Einst von den Preussen auf irgendeine Art und Weise den Amerikanern abgeschwatzt oder abgekauft, näheres könnte man aus einem streng geheimen Dokument erfahren, fristet es ein karges Dasein und droht zwischen den Nord- und Südstaaten aufgerieben zu werden. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein undurchsichtiger und umtriebiger Mann auftaucht. Seine Identität ist fraglich, seine Vollmachten fast unbegrenzt.
Zusammen mit einer handvoll Südstaatlern und Sympathisanten denkt er sich einen perfiden Plan aus mit dessen Hilfe nicht nur der Norden besiegt, sondern auch Karolina wieder in die Konföderation eingegliedert werden kann. Ihm gegenüber steht der unerschrockene Wilhelm Pfeyfer, Offizier und Kommandant des Militär-Sicherheits-Detachements von Karolinas Hauptstadt Friedrichsburg. Zusammen mit der burschikosen Kämpferin für Recht und Freiheit, Rebekka Heinrich, versucht er alles um den Plan zu verhindern. Doch beide müssen erkennen, dass auch die preussische Regierung im fernen Deutschland noch ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat.
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Wir schreiben das Jahr 1862. Ganz Nordamerika ist in den Händen der Union und der Konföderation. Ganz Nordamerika? Nein, ein von unbeugsamen Preussen bevölkertes Karolina hört nicht auf, den umgebenden Staaten Widerstand zu leisten …
Die Anspielung auf die Asterix und Obelix Comics fiel mir unweigerlich ein, als ich den Plot des neuen Buches von Oliver Henkel las. Anstelle der unbeugsamen Gallier kann man hier nun getrost die militanten Preussen setzen. Das sind dann allerdings auch schon die einzigen wirklichen Ähnlichkeiten die das Buch mit der Comic Serie hat.
Im Gegensatz zu den Asterix Geschichten, für die ich mich im Übrigen nie so wirklich begeistern konnte, trifft das Buch von Oliver Henkel genau meinen Geschmack. Ich mag Alternativweltgeschichten, und diese halt ganz besonders. Es ist eine ruhige, sich langsam vor sich hin entwickelnde Geschichte. Wäre nicht die preussische Provinz mitten in Amerika, könnte man die ganze Geschichte auch locker für einen historischen Roman halten – ohne Bezug zu dem phantastischen Genre. Die Technik, die Charaktere und das politische Umfeld entsprechen der Zeit des amerikanischen Bürger- oder auch Sezessionskrieges der Jahre 1861 bis 1865. Die geschlagenen Schlachten wurden in der Tat gefochten und viele der beschriebenen Figuren haben tatsächlich gelebt und sind gekonnt in den Plot eingeflochten. Das macht die ganze Geschichte glaubhaft und historisch. Nichts abgehobenes oder zu wildes, einfach nur ein paar kleine und dezente Veränderungen die unsere Geschichte von der geschilderten Alternativwelt unterscheidet.
Man merkt das sich der Autor, der seine Geschichte selbst als "phantastischen Historienroman ungeschehener Geschichte“ bezeichnet, Gedanken gemacht und gut recherchiert hat. Als Leser bekommt man ein Feeling für die damalige Zeit und es entsteht eine einmalige Atmosphäre, welche sich bereits auf den ersten Seiten aufbaut und kontinuierlich bis zum Ende beibehalten wird.
Ein großes Thema des Buches ist ohne Frage das der Sklaverei. Diese ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte und die Grundmotivation zahlreicher Handlungen der Charaktere. Was mich anfangs etwas verwunderte war die Tatsache, dass zwar ein farbiger Ex-Sklave zum Major der preussischen Armee aufsteigen kann, einem jüdischen weißen Leutnant jedoch offen erklärt wird, er habe, aufgrund seines Glaubens, keine Chance mehr auf eine Weiterbeförderung. Die ganze liberale preussische Einstellung gegenüber den Schwarzen kam mir etwas „sonderlich“ vor. Hier hat das Nachschlagen in Büchern nur begrenzt Abhilfe geschaffen. Zwar war in der damaligen Zeit im -Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten- die Sklaverei per Gesetzt verboten, aber das galt auch nach Ende des Bürgerkrieges im wieder vereinten Amerika. Und dennoch wäre es dort undenkbar gewesen, dass ein Schwarzer zum Offizier aufsteigen und über weiße Soldaten befehlen könnnte. Auch wenn das alles für mich irgendwie widersprüchlich klingt, darf man jedoch nicht vergessen, dass es sich um einen phantastischen Roman handelt und der Autor sich die Welt so gestalten darf, wie er es möchte. Das ist ein Vorrecht.
Herrlich auch die moderne Köpenickiade (ich will hier nicht zu viel verraten) auf die unser Held der Geschichte, Major Pfeyfer, hereinfällt. Auch wenn seine Obrigkeitsergebenheit anfangs doch etwas nervt, ist sie doch eine Grundvoraussetzung für die Geschichte. Gleichfalls zeigt sie auch den Schwachpunkt des Militärs, bzw. der Militärhierarchie an sich – der ewige Kampf zwischen Pflichtbewusstsein und der Notwendigkeit zur Hinterfragung von Befehlen. Es ist ein schmaler Weg den Pfeyfer zu gehen gezwungen ist.
Gespickt ist das Buch von zahlreichen liebenswürdigen und weniger sympathischen Menschen. Oliver Henkel lässt sich anfangs etwas Zeit um dem Leser die Charaktere näherzubringen und sie auf dem Spielfeld der Geschichte zu platzieren. Virtuos verwebt er dabei erfundene Charaktere und solche, die historisch belegt sind, zu einer bunten Mischung. Im Anhang zum Buch ist eine kleine Auflistung, samt Vita, von den Charakteren die tatsächlich gelebt haben zu finden. Bei einigen war ich doch sehr verwundert, hatte ich sie doch eindeutig als fiktiv und frei erfunden eingeschätzt.
Das gleiche gilt auch für die Great Eastern. Wer das Schiff für eine Erfindung des Autoren hält, die Schilderung des Schiffes klingt an manchen Stellen schon fast unglaublich, täuscht sich. Das Schiff hat es tatsächlich gegeben und war bis zu seiner Außerdienststellung im Jahr 1889 das größte Schiff der Welt. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich beim Anblick des Titelbildes von Timo Kümmel die Hände über den Kopf zusammengeschlagen habe. Wer denkt sich so etwas aus? Ein Schiff mit Schaufelrädern UND Segelmasten UND Schornsteinen. Mein Erstaunen war groß als ich dann nachlas und erkannte, dass die Great Eastern tatsächlich existierte und auch die Umbenennung in Leviathan der Wahrheit entsprach.
Der Schreibstil von Oliver Henkel zeichnet sich durch einen schon fast verschwenderischen Gebrauch von Adverben und Adjektiven aus. Er beschreibt alles und jeden recht überschwänglich. Normalerweise mag ich das nicht so, aber hier empfinde ich es durchaus als passend. Es rundet die ganze Geschichte ab und verleiht ihr diesen gewissen Flair. Es hilft einfach dabei in die damalige Zeit einzutauchen und die Geschichte so, quasi aus erster Hand, bildlich zu erleben. Überhaupt scheint sich Henkel auf die historischen Begebenheiten unserer Geschichte zu spezialisieren, hat er doch mit "Die Zeitmaschine Karls des Großen" und "Kaisertag" , bereits zweimal (2002 und 2003) den Deutschen Science Fiction Preis gewonnen.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Oliver Henkel in „seine“ Parallelwelt eintaucht. In der Kurzgeschichte "Mr. Lincoln fährt nach Friedrichsburg" , die das Prequel zum Buch ist, erfährt der Leser wie es zu der Verletzung von Abraham Lincoln kam und über dessen erste Begegnung mit Wilhelm Pfeyfer. In einer weiteren Kurzgeschichte "Adolf Hitler auf Wahlkampf in Amerika" kann man mehr über das Universum von Wilhelm Pfeyfer erfahren.
Aufgrund des großen Erfolges von "Die Fahrt des Leviathan" hat Oliver Henkel bereits eine mögliche Fortsetzung ins Auge gefasst. Diese würde vor dem vorliegenden Buch spielen und zum Thema haben, wie South Carolina zu Preußisch-Karolina wurde. Ich drücke mal ganz fest die Daumen das die Fortsetzung, die ja dann ein Prequel wäre, auch tatsächlich erscheint. Also Herr Henkel, übernehmen sie!